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Szyszkowitz und Neuland

Ausgehend von der „Deutschen Jugendbewegung“ ab 1900 wurde im Jahre 1921 unter der geistlichen Führung der Priester Michael Pfliegler und Karl Rudolf der „Bund Neuland“ gegründet.
Die Bestrebungen der „Deutschen Jugendbewegung“ waren z.B.: das Recht auf Selbstbestimmung, Eigenverantwortung, Recht auf die eigene Gestaltung des Lebens, das Wehren gegen überkommene Traditionen und gegen Autoritäten im Allgemeinen, Auflehnung gegen die Bevormundung durch Erwachsene sowie die Infragestellung des selbstverständlichen Führungsanspruches des Staates. Man wollte gegen das „unterdrückende System der Gelehrsamkeit“ und den „überzüchteten Intellektualismus“ ankämpfen.
Der Anschluss an die bodenständige bäuerliche Kultur wurde gesucht. Eine spätromantische Begeisterung für das deutsche Mittelalter trieb die Jugend auf’s Land, in die Natur, um dort nach dem Sinn des Lebens zu suchen.

Der Bund Neuland hingegen stellte sich unter die Führung Gottes.
Die Jugend sollte zu sich selbst geführt werden im Geiste einer Glaubenserneuerung. Über die reinen Selbstbefreiungsideen hinausgehend, strebte man Missionstätigkeit an. Die „Städter“ sollten zum wahren Glauben zurückgeführt werden, von dem sie durch Krieg, Revolution und Verproletarisierung abgekommen waren. Das hohe Ziel war „das Reich einer umfassenden christlichen Ordnung“. Jedoch stand man auch der „damals noch im byzantinischen Glanz verkrusteten“ Amtskirche kritisch gegenüber, die „reformbedürftig“ war. Die Kirche sollte echte Gemeinschaft werden; der Gottesdienst sollte die Zelebranten und die Gläubigen vereinen und nicht trennen; es galt die „Kluft zwischen heilig und profan“ zu überbrücken. Auf die Quellen des Urchristentums zurückgreifend wollte man die Worte der Bergpredigt leben, die unreflektiert übernommene Religiosität vieler gewohnheitsmäßiger Kirchengänger dadurch erschüttern und so das „Erwachen der Kirche in den Seelen“ (Romano Guardini) erreichen. Die Christen sollten sich ihrer Verantwortung bewusst werden; wahre Frömmigkeit statt „Frömmelei“ war gefordert. Die erneuerte Liturgie, zu der man sich frühmorgens versammelte, mit gregorianischem Choral oder neu entdeckten älteren Liedern, war das Zentrum. Pfliegler spricht immer wieder von „religiösem Sozialismus“; obwohl der Bund keine Bindung an eine Partei wollte, sondern eine „überparteiliche Neuformung des Menschen aus der Mitte der Kirche“.

Das Zielbild der Jugend wurde der „Neue Mensch“, der aus Einheit mit der Kirche einerseits und Einheit mit der Natur andererseits hervorgeht. Deshalb war die zweite tragende Idee die Naturverbundenheit. Man verurteilte die „Verstädterung des Lebens“, die „Asphaltkultur“, die für die „Bündischen“ - wie sie selbst sich nannten - einen deutlichen Beweis einer Kulturkrise darstellte.
Durch die Orientierung an völkischen Werten - die aber als Hinwendung zum Authentischen verstanden wurde - geriet die Bewegung für Außenstehende nahe an den Nationalsozialismus heran. Durch weitgehenden Verzicht auf die Annehmlichkeiten städtischer Zivilisation wollte man zu einer Lebensweise zurück-finden, die zum Ursprünglichen, Einfachen hin orientiert war. Kleidung und Frisuren gingen nicht mit der Mode. Selbstgefertigte schlichte Gewänder, Bundschuhe, einfache Knotenfrisuren der Mädchen und die oft langen Haare der Burschen wurden ein äußeres Zeichen für die innere Gesinnung.
Das Wandern („Fahren“ - wie sie es nannten) sollte diese Naturnähe fördern. Es kam dabei auf die Intensität der Wahrnehmung an, auf das Erfahren der Naturgewalten. Dem lag die Philosophie der Stoiker zugrunde, die von einem „Leben in Einverständnis mit der Natur“ und von der „Achtung der Lebensgesetze“ sprachen. Es ging um das Gemeinschaftserlebnis, um Bruder-Schwester-Sein in Reinheit und Wahrhaftigkeit.
Die Jugendlichen waren oft tagelang unterwegs, übernachteten auf Wiesen oder in Scheunen und kochten auf offenem Feuer. Am Abend trug man Gedichte oder Stücke vor; nicht selten auch selbstgeschriebene Werke. Den geistigen und literarischen Hintergrund boten Autoren wie beispielsweise Georges Bernanos, Paul Claudel, Gilbert Chesterton, Josef von Eichendorff, Gertrud von Le Fort, Ina Seidel, Adalbert Stifter, Karl Kraus, Rudolf A.Schröder oder Max Mell, um nur einige der wichtigsten zu nennen.

Ab dem Jahre 1938 ereilte auch den Bund Neuland dasselbe Schicksal wie fast alle Jugendbewegungen, dass er der NS-Bewegung einverleibt wurde und sich so alle Bestrebungen und Ideale des Bundes verliefen; offiziell hatte der Bund aber immer gegen die deutsche Bedrohung Österreichs Stellung genommen. Man war der Meinung dass jede politische Partei, so auch der Nationalsozialismus nur vorübergehende Erscheinungen seien, nach denen Platz sei für das „Heilige Deutsche Reich“. Man versuchte das Christentum mit der nationalen Bewegung zu versöhnen, und hier lag das Verhängnis. Denn in der Meinung alles Negative aus dem Nationalsozialismus streichen zu können, fiel Neuland diesem fast widerstandslos zum Opfer. Dass sich die christlichen Ideale Neulands nicht mit den Ideen des NS-Regimes vereinbaren ließen, braucht hier nicht erst betont zu werden.

Rudolf Szyszkowitz trat dem Bund Neuland 1920, im Alter von 15 Jahren bei, dessen Ideale ihn von da an entscheidend prägten. Er schreibt später selbst :

Das Jugendreich war uns eigen. Eine unendliche Fülle von Ausblicken, Aufgaben und Baugedanken (Aufbau aller Art) stand vor uns. In diesem Reich (inneres Reich) durfte ich mit den Mitteln, den erwarteten Registern der Kunst meiner Arbeit beitragen. Zur Erneuerung der Welt, zum Aufrichten des zerschlagenen Reiches, des inneren und des äußeren.

Aber nicht nur der Bund hatte für Szyszkowitz eine große Bedeutung, sondern auch umgekehrt er für den Bund.
Die Bindung zur bildenden Kunst war für Neuland eher peripher. Szyszkowitz gelang mit seinen frühen Arbeiten und einer teilweise eigens für Neuland geschaffenen Symbolik eine direkte Umsetzung der Ideen in Bilder. Das, was heute als „Neulandkunst“ bezeichnet wird, ist von seinem Schaffen beeinflusst und aus seinem Geist entstanden. Von den frühen Anfängen an illustrierte er die Jugendzeitschrift „Jungvolk“ und das Liederbuch „Fahrend Volk“. So befremdend diese frühen Illustrationen heute auch erscheinen mögen, so muss man sie aus Zeit und Gesinnung heraus verstehen. Die derben, grobschlächtigen Gesichter, die oft klobig wirkenden, teilweise überproportionierten Gliedmaßen, überhaupt die
gesamte sehr vereinfachte Darstellung lassen sich zum Teil wahrscheinlich auch auf den Einfluss seines Lehrers Wilhelm Gösser zurückführen.
Auch der Einfluss Karl Sterrers in Szyszkowitz’ Arbeiten lässt sich in dieser Frühzeit klar erkennen; sowohl formal als auch in der ernsthaften Geisteshaltung, im Vermeiden jeglicher Oberflächlichkeit.
Szyszkowitz veränderte mit seiner Kunst auch den Kunstgeschmack seiner Freunde, die als Erholung von der „rauhen“ Wirklichkeit - in der vieles als „untauglich“ und „trostlos“ empfunden wurde - eher zu spätnazarenischen oder neoklassizistischen Darstellungen Zugang hatten, in denen eine lieblichere, gefälligere Phantasiewelt zu finden war.

Er verlangte eine Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, wie sie ist und wie sie sein sollte. Der jenseitsorientierten Weltflucht (wie sie in den nazarenischen Darstellungen zu finden ist) wurde eine auf die Verwirklichung des Glaubens im Diesseits bezogene Kunst entgegengesetzt. Herber Ernst, Einfachheit und Reduktion in Form, Farbe und Komposition sind ebenso wie auch Monumentalität formale Zeichen dieser Gesinnung.
Die religiösen Bildthemen wurden erweitert, neu interpretiert und in die Gegenwart versetzt - projiziert. Dies wurde damals durchaus von vielen als Provokation aufgefasst. Besonders das Bild „Krippe“ von Szyszkowitz ruft in der Öffentlichkeit große Empörung hervor. „Skandal“, „Abscheulichkeit“, „Zerrbilder schrecklichster Art“ oder „Ärgernis für das gläubige Volk“ waren einige der - wörtlich aus Beschwerdebriefen zitierten - Qualifikationen. Die Heilige Familie wäre zu „proletarisch“ dargestellt; dieses „verhuzelte Proletarierweib“ könne niemals die Jungfrau Maria sein; es wäre eine „Aushöhlung und Verarmung des so lieben schönen Krippegedankens“.
Anton Böhm meinte in einem Artikel, dass sich hieraus deutlich zeige, dass die Vertreter der Mehrheit des Kirchenvolkes das historische Heilsgeschehen nicht auf der Ebene ihres realen Alltagslebens dargestellt sehen wollten, und dabei nicht bedenken würden, dass es ja nur Sinn gehabt habe, nur dann erlösend gewirkt haben konnte, wenn es sich eben auf dieser menschlichen Wirklichkeitsebene vollzog.

Im Neubau der Neulandschule in Grinzing, der 1931 von Clemens Holzmeister fertiggestellt wurde - die Schule wurde ursprünglich 1926 von Anna Ehm und Josefa Grois in einer der evakuierten Baracken des Grinzinger Kriegsspitals gegründet - hatte Szyszkowitz das Fresko „Christophorus“ als Altarbild gestaltet. Hier ist wieder „Übersetzung“ in die Realebene, in die Gegenwart zu finden. Das Christuskind, welches kein Idealbild bietet, das nichts Edles in seinen Gesichtszügen hat und eher wie ein Elendskind wirkt, auch dieses Kind kann Christus sein, den man auch in jedem Proletarierkind lieben müsse, der einem immer in einer Gestalt entgegentrete, in der man ihn nicht vermute.
Auch bekämpfte Szyszkowitz stets den in der Bewegung manchmal anzutreffenden Hang zu Dilettantismus. Mit Halbheiten konnte und wollte er sich nie zufrieden geben. Er forderte Ehrfurcht vor dem Talent, vor der meisterlichen Leistung, wo immer sie aufschienen. Selbst kurze Kasperltheateraufführungen wurden von ihm nie halbherzig, sondern immer ernsthaft und minutiös geplant und inszeniert, was ihm im Bund auch bald die Rolle eines anerkannten Spielleiters einbrachte. Stücke wie „Totentanz“ von A. J. Lippl, „Der verlorene Sohn“ von Burkhard Waldis, „der Prophet“ von Ida Coudenhove oder „Chriemhield“ von Paul Ernst wurden unter seiner Leitung aufgeführt. Auf seine Leidenschaft für das Theater wird in diesem Buch in einem anderen Kapitel noch näher eingegangen.

Im Vorwort zum Katalog der Ausstellung Kairos im Jahre 1993, das von Matthias Boeckl verfasst wurde, tauchte die Frage nach den Entwicklungsfähigkeiten der Neulandkunst im Spektrum der Moderne auf. Günther Rombold stellte die These auf, dass Neulandkunst eine Sackgasse war. Boeckl meinte, dass die Neulandkünstler selbst die Frage am besten beantwortet haben. Einige blieben lebenslang der Neulandkunst treu; andere wiederum hatten sich geändert, wie Szyszkowitz, der auf eine expressiv-abstrakte Linie einschwenkte.

Obwohl sich die Bildauffassung von Szyszkowitz im Laufe der Jahre stark verändert hat, ist er seinen Idealen auch in der Kunst stets treu geblieben. Zeit seines Lebens war Kunst für ihn gleich Religion. Künstlerisches Schaffen war für ihn mit einem Gebet gleichzusetzen.
Er sagte immer wieder, Kunst gehöre so wie auch die Religion zu den unnotwendigen Dingen (im Sinne von unmittelbar Not-wendend, über das Notwendige hinausgehend); Kunst sei für die Katz’; und die Katz’ sei der liebe Gott.

Für Szyszkowitz sollte Kunst nicht bloß irgendein Gefühl ansprechen, sondern der ganze Mensch, auch der Intellekt musste angesprochen werden.

Einmal sagte er, die Schuhe von Van Gogh seien als Altarbild geeigneter als ein schlechtes Bild mit religiöser Thematik, denn die Spur Gottes sei für den, der Augen hat zu sehen, auch im Alltäglichen zu erschauen.
„Man kann auch eine Birne beten“, sagte er und er könne sich auch eine reine Landschaft als Altarbild vorstellen.

Im Vorwort zu dem Ausstellungskatalog „Szyszkowitz und seine Schüler“ (1994) schrieb Wilfried Skreiner:
„Ohne Bund Neuland, die tiefe Gläubigkeit und das allgemeine künstlerische, menschliche und glaubensmäßige Engagement, ist weder der Künstler, noch der Lehrer Szyszkowitz zu verstehen.“

 
 

 
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